Sachverhalt: Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann und vier Kindern im Inland. Ihr ältestes Kind ist volljährig und macht eine Ausbildung, die drei weiteren Kinder sind minderjährig. Der Ehemann der Klägerin erhält als Arbeitnehmer in der Schweiz für die Kinder Familienzulagen. Die Schweiz ist unter Berücksichtigung von Verordnungen der EU und des Freizügigkeitsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig, weil der Kindsvater in der Schweiz beschäftigt ist.
Die Schweizer Familienzulagen betrugen für die zwei jüngsten Kinder 200 CHF (165,43 €) und für die zwei ältesten Kinder 250 CHF (206,78 €) monatlich. Die Familienkasse gewährte Kindergeld für die zwei ältesten Kinder von monatlich 184 €, für das dritte Kind 190 € und das vierte Kind 215 €, also insgesamt 773 €, und zog hiervon die Schweizer Familienzulage von insgesamt 744,42 € ab. Infolgedessen setzte die Familienkasse ein monatliches Differenzkindergeld zugunsten der Klägerin in Höhe von 28,58 € fest. Nach Auffassung der Klägerin ist das Differenzkindergeld kindbezogen zu ermitteln, ein verbleibender Überschuss der Schweizer Kinderzulage über das deutsche Kindergeld bei einem Kind dürfe nicht mit den Differenzkindergeldansprüchen der weitere Kinder verrechnet werden. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Hierzu fĂĽhrten die Richter des BFH weiter aus:
- Die Berechnung des Differenzkindergeldes hat nach dem EStG kindbezogen zu erfolgen.
- Eine Kürzung des Differenzkindergeldes für das dritte und vierte Kind der Klägerin durch Verrechnung des übersteigenden Betrages der Schweizer Kinderzulage für die ersten beiden Kinder ist mangels einer gesetzlichen - sowohl europarechtlichen als auch nationalen - Regelung ausgeschlossen.
- Art. 68 der VO Nr. 883/2004 enthält im Hinblick auf eine Berechnungsmethode, bei der die Beträge der Familienleistungen eines primär und eines sekundär zuständigen Mitgliedstaates miteinander verglichen werden, keine Regelung.
- Räumt die Verordnung den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum ein, obliegt die Befugnis zur Letztkonkretisierung dem Gesetzgeber.
- Zwar sieht das EStG für die Berechnung der Unterschiedsbeträge beim Zusammentreffen von nationalen und vergleichbaren ausländischen Familienleistungen keine ausdrückliche Regelung vor.
- Die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften sind aber sowohl dem Grunde (vgl. §§ 62 bis 65 EStG) als auch der Höhe nach (§ 66 EStG) kindbezogen ausgestaltet.
Hauptbezug: BFH, Urteil v. 4.2.2016 - III R 9/15, NWB DokID: LAAAF-75059
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