Fehler bei der Auslegung oder (Nicht-)Anwendung einer Rechtsnorm schließen die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit und damit die Anwendung des § 129 AO aus. § 129 AO ermöglicht auch dann nicht die Berichtigung "vermeintlicher" mechanischer Fehler des Steuerpflichtigen, welche tatsächlich auf der unzutreffenden Anwendung einer Rechtsnorm beruhen, wenn sie aus der Sicht der den Fehler übernehmenden Finanzbehörde als offenbare Unrichtigkeiten erscheinen mögen (BFH, Urteil v. 16.9.2015 - IX R 37/14; veröffentlicht am 28.10.2015).
Hintergrund: Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen (§ 129 Satz 1 AO). Sachverhalt: Streitig ist, ob das Finanzamt berechtigt war, den aufgrund der Einkommensteuererklärung des Klägers bestandskräftig ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2005 nach § 129 AO zu berichtigen. In der Erklärung hatte der Berater des Klägers nach eingehender rechtlicher Überlegung Einkünfte aus Stillhaltergeschäften den Einkünften aus "privaten Veräußerungsgeschäften“ i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zugeordnet. Das FA hatte die fehlerhafte Zuordnung zunächst übernommen, der Bescheid wurde bestandskräftig. Im März 2011 erließ das FA einen nach § 129 AO geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es die Einkünfte aus den Stillhaltergeschäften nunmehr bei den Einkünften aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG berücksichtigte. Die gegen die geänderte Zuordnung der Stillhaltergeschäfte gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, der BFH dagegen gab der Klage statt. Hierzu führten die Richter weiter aus:
  • Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler.
  • Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus.
  • § 129 AO ist ferner dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.
  • Vorliegend hat sich der steuerliche Berater des Klägers eingehend mit der Zuordnungsfrage der Stillhaltergeschäfte beschäftigt. Insofern fehlt es an offenbar fehlerhaften Angaben des Steuerpflichtigen, welche das FA als eigene (mechanische) Fehler hätte übernehmen können.
Hauptbezug: BFH, Urteil v. 16.9.2015 - IX R 37/14, NWB DokID: VAAAF-06780Verwandte Artikel:
  • Wedelstädt v., Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit, infoCenter, NWB DokID: QAAAA-57047
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