Der BFH sieht es als klärungsbedürftig an, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die "vollständige Anschrift" bereits dann enthält, wenn der leistende Unternehmer in seiner Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er postalisch zu erreichen ist, und bittet den EuGH um Klärung (BFH, Beschluss v. 06.04.2016 - XI R 20/14, veröffentlicht am 06.07.2016).
Hintergrund: Art. 226 MwStSystRL bestimmt zu den für den Vorsteuerabzug obligatorischen Rechnungsangaben, dass die ausgestellte Rechnung den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers enthalten muss. Nach § 31 Abs. 2 UStDV ist den Anforderungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG genügt, wenn sich auf Grund der in die Rechnung aufgenommenen Bezeichnungen der Name und die Anschrift sowohl des leistenden Unternehmers als auch des Leistungsempfängers eindeutig feststellen lassen. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Entscheidung über die abweichende Festsetzung kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden. Sachverhalt und Verfahrensgang: Klägerin ist eine GmbH, die im Streitjahr 2008 mit Kfz handelte. Sie erklärte u.a. steuerfreie innergemeinschaftliche Kfz-Lieferungen und Vorsteuerbeträge durch erworbene Fahrzeuge. Das FA folgte den Angaben nicht und setzte die Umsatzsteuer entsprechend den Feststellungen zweier Umsatzsteuer-Sonderprüfungen fest. Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen seien nicht abziehbar, weil es sich bei der Firma um eine "Scheinfirma" handele, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe. Das FG wies die Klage ab, weil unter der in den Rechnungen angegebenen Adresse keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden hätten. Vielmehr hat die betreffende Firma Räumlichkeiten unter einer anderen Anschrift angemietet. Auch komme es nicht darauf an, ob die Klägerin auf die Richtigkeit der in den Rechnungen angegebenen Anschrift habe vertrauen dürfen, denn Vertrauensschutzgesichtspunkte können nicht bei der Steuerfestsetzung, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO berücksichtigt werden. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:
  1. Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erforderliche Rechnung die"vollständige Anschrift" i.S. von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2008 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt?
  2. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem insoweit berufbar?
Hinweis: Unter gleichem Datum hat auch der V. Senat (BFH, V R 25/15) den EuGH mit vergleichbarer Fragestellung angerufen. Quelle: NWB Datenbank (Sc) Hauptbezug: BFH, Beschluss v. 06.04.2016 - XI R 20/14 Verwandte Artikel:
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