In seiner Kolumne âIm Namen des Volkesâ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern AuszĂŒge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches
Ich heiĂe Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.
Die Zeit und die Steuer sind unerbittlich
Albert Einstein soll erklĂ€rt haben, dass âdie Berechnung der Einkommensteuer fĂŒr einen Mathematiker zu schwierig sei, dazu mĂŒsse man schon Philosoph sein.â Dabei sind Steuern keine Erfindung unserer modernen Zeit, sie sind unerlĂ€sslicher Begleiter unserer Zivilisation, auch schon vor 2.000 Jahren. Wer sich einmal die MĂŒhe macht, die Geschichte unseres Steuerrechts zu recherchieren, wird feststellen, dass wir schon immer Herrscher hatten, die abenteuerliche Ideen hervorbrachten, ihren Untertanen mehr oder weniger phantasievoll das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und er wird sich am Ende die Frage stellen, wie unsere Zivilisation das alles ĂŒberleben konnte. Und dass die aktuellen Ideen unserer arg so geltungsbedĂŒrftigen Politiker von Maut bis Bodenwertzuwachssteuer schon vor hunderten von Jahren ebenso gedacht wurden.
Mit der Erfindung der Schrift lĂ€utet die Menschheit das Ende der Steinzeit ein, es beginnen die sog. Hochkulturen. Und mit der Ausbildung der Schrift nimmt wohl auch die BĂŒrokratisierung ihren Anfang. Ohne Erfindung der Schrift wĂŒrde es heute keine SteuererklĂ€rungsvordrucke geben. Und mit der anschlieĂenden Erfindung des Geldes ist der Weg frei fĂŒr eine schonungslose Besteuerung der BĂŒrger ĂŒberall auf der Welt. So soll der erste Text, der ĂŒber eine Steuerreform berichtet, schon vor rund 4.400 Jahren in Vorderasien geschrieben worden sein. Und in einem altĂ€gyptischen Papyrus heiĂt es bereits, dass âSteuerprĂŒfer schlimmer als Heuschreckenâ seien. Und schon Hammurapi erlieĂ als Herrscher von Babylonien vor 4.000 Jahren ein Dekret, in dem es heiĂt, dass âGeld ohne Quittungen nicht in den BĂŒchern erscheinen soll.â Auch schon damals wusste das Volk: âDu kannst einen König haben, doch ein Mann, den durch wirklich fĂŒrchten musst, ist der Steuereintreiberâ.
Heute ist die Politik zu einer Kunst geworden, die es verstehen muss, den BĂŒrgern auf mehr oder weniger unauffĂ€llige Art ihr Geld abzunehmen und es mehr oder weniger sinnlos auszugeben. Denn obwohl die Steuereinnahmen seit Jahren sprudeln, ist zu wenig Geld vorhanden fĂŒr Dinge, die man wohl selbst favorisieren wĂŒrde, sei es Bildung oder innere Sicherheit. Aber der ĂŒbergriffige Staat giert in seiner EntmĂŒndigungspolitik weiter, wenn man den aktuellen Aussagen von Spitzenpolitikern folgt. Laut OECD hat Deutschland bei Steuern und Sozialabgaben unter den IndustrielĂ€ndern mittlerweile den Spitzenplatz erobert, in keinem anderen Land der Welt lassen sich die BĂŒrger ihren Staat so viel kosten.
Die Zahlung von Steuer kann nicht aus GewissensgrĂŒnden abgelehnt werden
Aber auch das ist kein PhĂ€nomen der aktuellen Zeit, sondern die Frage, ob unsere Politiker unser Geld sachgerecht ausgeben, hat die Menschen schon immer beschĂ€ftigt. Zum UnglĂŒck aller leidgeprĂŒften Steuerzahler entschied der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 6.12.1991 (III R 81/89), dass âdie Zahlung von Steuern nicht aus GewissensgrĂŒnden abgelehnt werden kann.â Die KlĂ€ger, die der Glaubensgemeinschaft der âReligiösen Gesellschaft der Freundeâ (QuĂ€ker) angehörten, wollten sicherzustellen, dass die von ihnen gezahlte Einkommensteuer nicht fĂŒr MilitĂ€rausgaben verwendet wird, und hatten beantragt, die Steuerlast um den im Bundeshaushalt veranschlagten rechnerischen Anteil fĂŒr MilitĂ€rausgaben zu kĂŒrzen. Sie spendeten diesen rechnerischen Anteil fĂŒr wohltĂ€tige Zwecke.
Der Bundesfinanzhof folgte unerklĂ€rlicherweise den gut durchdachten und nachvollziehbaren Argumenten der KlĂ€ger nicht. Sie wurden verurteilt, ihre volle Steuerlast an das Finanzamt zu entrichten, da es das Recht der gewĂ€hlten Volksvertreter sei, darĂŒber zu entscheiden, in welchem Umfang Haushaltsmittel fĂŒr die einzelnen öffentlichen Zwecke verlangt und eingesetzt werden sollen. âNicht umsonst fĂŒhren die Staaten mit Vorliebe ein Raubtier im Wappenâ (Carl Spitteler, 1845-1924, Schweizer Schriftsteller).
Die beste Arbeit ist das hochbezahlte Hobby
Da wundert es nicht, dass die Menschen immer phantasievoll versuchen, im Rahmen ihrer SteuererklÀrungen hohe private Aufwendungen als beruflich veranlasst darzustellen, sei es die Anschaffung teurer Fahrzeuge, Computer oder sogar Wohnmobile.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz musste darĂŒber entscheiden, ob die Anschaffung von mehr als 20.000 Skeletten (!) beim KĂ€ufer den Begriff der Werbungskosten auslöst. Dr. Paul Winkelmann war Anthropologe aus Leidenschaft, eine Leidenschaft, die schon drei Ehen zugrunde gerichtet hatte. Er verbrachte seine Zeit einfach viel lieber im Labor oder im Hörsaal der UniversitĂ€t, an der er lehrte, als zuhause. Auch solche Menschen muss es geben. Im Streitjahr bereiste Dr. Winkelmann fĂŒr einige Wochen Nordamerika und brachte â wie dies auf solchen Reisen ĂŒblich ist â einige Souvenirs mit. Dies waren allerdings keine der ĂŒblichen Schneekugeln mit dem Empire State Building oder den Niagara-FĂ€llen, sondern unter anderem fĂŒnf teure alte FachbĂŒcher und â nur ungewöhnlich fĂŒr uns normale Menschen â 33 menschliche SchĂ€del. Ausweislich der von ihm selbst ausgestellten Bescheinigung der UniversitĂ€t fĂŒr das Streitjahr ist eines seiner Spezialgebiete Zahnmorphologie und -pathologie. Im Rahmen seiner SteuererklĂ€rungen fĂŒr die letzten sieben Jahre machte Dr. Winkelmann immer wieder hohe Aufwendungen fĂŒr den Ankauf von Knochen und SchĂ€deln (Skelettmaterial) sowie Fachliteratur geltend. Die Aufwendungen dieser Jahre summierten sich einschlieĂlich umfangreicher Reisekosten letztlich auf rund 480.000 DM (Hinweis: das war einmal eine WĂ€hrung in Deutschland). Den Aufwendungen stand jeweils ein Bruttoarbeitslohn von jĂ€hrlich rund 120.000 DM entgegen. Nach eigenem Sachvortrag des KlĂ€gers besitzt er zwischenzeitlich 12.000 frĂŒhhistorische und 1.000 prĂ€historische menschliche und tierische SchĂ€del und zudem 7.000 weitere Skelettteile. Das gesamte Material diene ausschlieĂlich Forschungszwecken und habe einen hohen wissenschaftlichen Wert. So habe beispielsweise ein SchĂ€del aus Nordafrika mittlerweile allein einen Wert von ca. 1 Million DM. Er werde deshalb auch im Tresor der UniversitĂ€t aufbewahrt. Das gesamte Material â so der Einwand des KlĂ€gers â sei ausschlieĂlich fĂŒr den Lehrbetrieb bestimmt.
Die zustĂ€ndigen Richter trafen folgende sicherlich auch fĂŒr einen ungeĂŒbten Rechtsanwender als weise einzustufende Entscheidung (Urteil vom 30.11.1994, 1 K 1951/93):
âErwirbt ein Anthropologe im Laufe der Zeit mehr als 20 000 menschliche SchĂ€del und Skelettteile, so steht dem diesbezĂŒglichen Werbungskostenabzug § 12 Nummer 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz entgegen. Die berufliche Veranlassung wird in diesem Fall durch eine private Sammelleidenschaft ĂŒberlagert.â
Unter BerĂŒcksichtigung aller UmstĂ€nde mochte sich der erkennende Senat des Eindrucks nicht zu erwehren, dass zur Anschaffung der streitbefangenen BĂŒcher und Skelettteile nicht eine berufliche Motivation, gerichtet auf das mit ihrer Hilfe geplante wissenschaftliche Arbeiten, fĂŒr den KlĂ€ger ausschlaggebend war, sondern doch eher private UmstĂ€nde. Es erschien den Richtern insbesondere wenig glaubhaft, dass der KlĂ€ger mithilfe veralteter BĂŒcher neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen will. Auch die Tatsache, dass der KlĂ€ger, obwohl er mehr als 20.000 menschliche und tierische SchĂ€del und andere Skelettteile besitzt, immer weiteres Material erwirbt, spreche fĂŒr eine private Sammlerleidenschaft und nicht fĂŒr eine berufliche Veranlassung.
Und jetzt kommt die wirklich ĂŒberzeugende BegrĂŒndung, warum dem Steuerpflichtigen gar keine Kosten entstanden sind, selbst wenn man die berufliche Veranlassung der Anschaffungen akzeptieren wĂŒrde: Diese Dinge nutzen nicht ab!
âUnabhĂ€ngig hiervon kommt eine Absetzung fĂŒr Abnutzung fĂŒr die erworbenen SchĂ€del nicht in Betracht, weil eine wirtschaftliche oder technische Abnutzung nicht angenommenen werden kann; die ausgegrabenen GegenstĂ€nde unterliegen keinem Wertverzehr.â
Da sich die (unterstellte) berufliche Nutzung der angeschafften BĂŒcher und insbesondere der Skelette (!) erfahrungsgemĂ€Ă ĂŒber einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstrecken wĂŒrde, wĂ€ren die Aufwendungen allenfalls ĂŒber die anzusetzende Abschreibung (Absetzung fĂŒr Abnutzung) zu berĂŒcksichtigen gewesen. Dies setzt aber voraus, dass die betreffenden GegenstĂ€nde abnutzbar sind. Dies ist hier aber nicht der Fall, denn die GegenstĂ€nde verlieren durch ihren bestimmungsgemĂ€Ăen Gebrauch wirtschaftlich nicht an Wert. Was der KlĂ€ger ja im Hinblick auf eine Wertsteigerung der SchĂ€del selbst erklĂ€rt hatte.
Ich freue mich, in den nĂ€chsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können. Und sollte Ihnen der BĂŒroalltag einmal ĂŒber den Kopf wachsen: was halten Sie von einem guten Buch, denn es muss ja nicht immer ein Gesetzbuch sein? Herman Wouk (1915-2019), US-amerikanischer Bestseller-Autor und TrĂ€ger des Pulitzer-Preises, von dem der Spruch aus der Ăberschrift stammt, schrieb 1952 den Roman âDie Caine war ihr Schicksal.â Vielleicht wĂ€re das eine denkbare Alternative.
Ăber Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschlieĂend Leiter der BetriebsprĂŒfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in SteuerberaterlehrgĂ€ngen und BilanzbuchhalterlehrgĂ€ngen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tĂ€tig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor unzĂ€hliger steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen âMeine Frau ist eine auĂergewöhnliche Belastungâ, âWo bitte kann ich meinen Mann absetzenâ, âIch war Hals ĂŒber Kopf erleichtertâ und ganz aktuell âIm Namen des Volkesâ sowie das MĂ€rchenbuch âVon Steuereyntreibern und anderen Blutsaugernâ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab.
Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hÀngte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).