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Im Namen des Volkes – Die Unkenntnis der Steuergesetze befreit nicht von der Pflicht zur Zahlung ...

Sikorski

SchrÀge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern AuszĂŒge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches

Ich heiße Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

. . . Die Kenntnis aber schon
Amschel Meyer Rothschild (1743-1812, deutscher Baron) hat seinerzeit den typischen Volksmund „Unwissenheit schĂŒtzt vor Strafe nicht“ auf das Steuerrecht ĂŒbertragen, aber das Ganze noch um diesen einen Satz ergĂ€nzt, wodurch die Aussage eine völlig neue Bedeutung erlangt. HĂ€tte der Autor dieser Zeilen eine eigene Kanzlei, wĂ€re dies sein Wahlspruch auf seiner Homepage oder seiner EingangstĂŒr.
„Gewusst wie“ ist also das Motto von Steuerzahlern, deshalb lesen sie unzĂ€hlige Newsletter, blĂ€ttern in den rund 200 Fachzeitschriften, die es zum Steuerrecht so gibt, und besuchen unzĂ€hlige Seminare auf der Suche nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Und so wundert man sich nicht, dass auch die VortrĂ€ge einer MinisterialrĂ€tin des Bundesfinanzministeriums fĂŒr besonders Wohlhabende (?‍?) gut besucht sind (zdfheute vom 15.12.2023 von Oliver Klein und Jan Schneider).

Steuersatz fĂŒr MilchmischgetrĂ€nke
In fast allen LĂ€ndern der EuropĂ€ischen Union sind Lieferungen der meisten Lebensmittel bei der Umsatzsteuer begĂŒnstigt, sie unterliegen dem sog. ermĂ€ĂŸigten Steuersatz. Etwas anderes gilt, wenn Lebensmittel als fertige Speisen in Lokalen zu sich genommen werden. Beim „Verzehr an Ort und Stelle“ gilt der Regelsteuersatz, denn bei einer solchen Bewirtung kommen ja noch unzĂ€hlige Dienstleistungen wie Zubereitung, Bedienung, SpĂŒlen usw. dazu. Und dann wird eben aus einem ordinĂ€ren Lebensmittel ein Restaurantessen, das nicht begĂŒnstigt ist.
GetrĂ€nke sind dagegen nicht begĂŒnstigt, sie unterliegen auch beim Kauf im Supermarkt dem Regelsteuersatz, egal ob Bier, SoftgetrĂ€nke oder gar Mineralwasser. WĂ€hrend Leitungswasser, das zu Hause aus dem Hahn sprudelt und nicht selten gesĂŒnder ist als die meisten Mineralwasser, dem ermĂ€ĂŸigten Steuersatz unterliegt (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 34), ist selbst das im Supermarkt gekaufte Tafelwasser mit dem Regelsteuersatz zu besteuern. Und natĂŒrlich wird die steuerliche Qualifizierung von der Finanzverwaltung mit dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen begleitet:
„Die Abgabe von KaffeegetrĂ€nken aus Automaten unterliegt dem allgemeinen Steuersatz. Das gilt auch dann, wenn sich der Automatenbenutzer das GetrĂ€nk aus Kaffeepulver mit heißem Wasser selbst herzustellen hat. Gegenstand der Lieferung ist auch in einem solchen Fall bei wirtschaftlicher Betrachtung das nicht begĂŒnstigte fertige KaffeegetrĂ€nk.
BegĂŒnstigt sind aber MilchmischgetrĂ€nke, die mengenmĂ€ĂŸig zu mindestens 75 % aus Milch oder Milcherzeugnissen bestehen, z. B. MilchgetrĂ€nke mit Zusatz von Kakao (Kakaomilch). Der Anteil von 75 % an Milch oder Milcherzeugnissen bezieht sich auf Massenanteile. Somit werden sowohl Erzeugnisse erfasst, die einen Massenanteil, als auch solche, die einen Volumenanteil von mindestens 75 % an Milch oder Milcherzeugnissen aufweisen
.“
TatsĂ€chlich werden als einzige GetrĂ€nke unmittelbar im Gesetz (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 35) MilchmischgetrĂ€nke begĂŒnstigt. Sie unterliegen aber nur dann dem ermĂ€ĂŸigten Steuersatz, wenn der Kaffeeautomat so programmiert ist, dass der Milchanteil mindestens 75 % betrĂ€gt. Wer denkt sich so etwas aus? Und welche Menschen außer dem Autor dieser Zeilen ergreifen ernsthaft einen Beruf, in dem sie derart abenteuerliche Regelungen zu beachten haben?

Steuersatz fĂŒr die Lieferung von sog. Kombinationsartikeln
Wer kennt sie nicht, die Frage der Kinder in der Werbung an den Vater, ob er ihnen denn etwas mitbringt: was SĂŒĂŸes, ein Spielzeug – und eine Überraschung. Die damit verbundenen umsatzsteuerlichen Abgrenzungsprobleme werden in der entsprechenden Werbung unverstĂ€ndlicherweise nicht angesprochen, geschweige denn auch nur im Ansatz gelöst. SĂŒĂŸes wird nĂ€mlich in Deutschland in aller Regel mit dem ermĂ€ĂŸigten Steuersatz von 7 % bei der Umsatzsteuer besteuert, wĂ€hrend Spielzeug dem Regelsteuersatz von 19 % unterliegt. Und ein Hinweis, welcher Steuersatz auf eine Überraschung anzuwenden ist, fehlt im Gesetz völlig. Aber dafĂŒr gibt es ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen als Interpretationshilfe (BMF vom 21.3.2006, BStBl 2006 I Seite 286):
„Warensortimente, die keine Warenzusammenstellungen in Aufmachungen fĂŒr den Einzelverkauf im Sinne der Allgemeinen Vorschrift fĂŒr die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3b darstellen (sog. Kombinationsartikel), sind getrennt einzureihen. Dies kann dazu fĂŒhren, dass auf die Lieferung eines Kombinationsartikels sowohl der ermĂ€ĂŸigte als auch der allgemeine Steuersatz Anwendung finden.
BetrĂ€gt das Verkaufsentgelt fĂŒr die erste Lieferung des Warensortiments nicht mehr als 20 Euro und sind die Waren bei dieser Lieferung so aufgemacht, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an den Endverbraucher eignen, wird die einheitliche Anwendung des ermĂ€ĂŸigten Steuersatzes fĂŒr diese Lieferung und alle Lieferungen des selben Warensortiments auf den folgenden Handelsstufen nicht beanstandet, wenn der Wertanteil der in der Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz genannten GegenstĂ€nde mindestens 90 % betrĂ€gt. Liegt der Wertanteil dieser GegenstĂ€nde unter 90 %, wird die einheitliche Anwendung des allgemeinen Steuersatzes nicht beanstandet
.“
Was ĂŒbersetzt so viel heißt wie: „Der rechnerische Anteil der SĂŒĂŸigkeit wird mit dem ermĂ€ĂŸigten Steuersatz versteuert, der rechnerische Anteil des Spielzeugs mit dem Regelsteuersatz. Aber aus VereinfachungsgrĂŒnden kannst du auch alles mit dem höheren Regelsteuersatz (!) erfassen, der Fiskus dankt es dir.“
Die Frage nach dem Steuersatz, der auf die Überraschung anzuwenden ist, wird auch im genannten Schreiben des Bundesfinanzministeriums leider nicht beantwortet.

Ich will Steuern sparen, koste es was es wolle
Nach diesen Spitzfindigkeiten des materiellen Steuerrechts zurĂŒck zu einigen allgemeinen Streitfragen, mit denen deutsche Finanzgerichte sich so zu beschĂ€ftigen haben, denn offenbar ist dem klagewĂŒtigen Deutschen in seinem Drang, Steuern sparen zu wollen, kein Rechtsstreit zu dumm.
Thorsten Bröseke konnte es nicht glauben. Seine Frau hatte ihn nach zehnjĂ€hriger Ehe verlassen, weil er nach ihrer Auffassung „offenbar mit seiner RechtsanwaltssozietĂ€t verheiratet“ sei. Nachdem sie Hals ĂŒber Kopf ausgezogen war, fand er sich allein in seinem Einfamilienhaus in Castrop-Rauxel wieder. Nun, so ganz allein dann doch wieder nicht. Immerhin hatte er noch Kater Paul, der von nun an allein und ohne Frauchen sein Schicksal teilte.
Nun zeigte sich alsbald, dass Kater Paul sich von frĂŒh morgens bis spĂ€t abends allein im leeren Einfamilienhaus ziemlich einsam fĂŒhlt und dabei – wie sollte es anders sein – auf den ein anderen neckischen Gedanken kam. Herumstehende Vasen, ZiergegenstĂ€nde und anderen Utensilien, forderten Kater Paul Tag fĂŒr Tag aufs Neue heraus, sehr zum Schaden des ein oder anderen Gebrauchsgegenstands und zum Leidwesen seines Herrchens.
Kurzerhand beschloss Thorsten Bröseke, den Kater mit in die Rechtsanwaltskanzlei zu nehmen, wo er durchaus auch die ein oder andere Rechtsanwaltsgehilfin mit seiner Anwesenheit und seinem ausgeprÀgten Wunsch, Streicheleinheiten zu erhalten, erfreute und unterhielt. Seine Partner in der Kanzlei billigten mehr oder weniger die Anwesenheit des Stubentigers.
Im Rahmen der Anfertigung der FeststellungserklĂ€rung fĂŒr die RechtsanwaltssozietĂ€t erklĂ€rte Thorsten Bröseke, dem diese jĂ€hrlich wiederkehrende und unbeliebte Aufgabe aufgrund eines Arrangements mit seinen Partnern immer wieder zukam, dem Finanzamt, Kater Paul habe zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehört, da der Kater einerseits das BĂŒrogebĂ€ude mĂ€usefrei gehalten und andererseits der Unterhaltung wartender Mandanten gedient habe. Da ihm der Kater allein gehörte, seien die Kosten fĂŒr die Haltung des Tieres in Höhe von 877,80 DM als Sonderbetriebsausgaben zu berĂŒcksichtigen.
Das Finanzamt wollte dieser Idee nicht folgen und auch das niedersÀchsische Finanzgericht wies die entsprechende Klage ab (FG Hannover vom 10.9.1991, IV 126/89):
„Der Senat sieht schon die Tatsache, daß allein der KlĂ€ger die Kosten der Katzenhaltung allein bestritten hat, als Indiz fĂŒr eine erhebliche private Mitveranlassung an. LĂ€ge nĂ€mlich tatsĂ€chlich eine betriebliche Veranlassung fĂŒr die Haltung des Tieres vor, so wĂ€re es naheliegend, daß sich alle Gesellschafter an den Kosten beteiligt hĂ€tten. FĂŒr eine private Mitveranlassung spricht weiterhin, daß die Haltung eines Katers in einer Anwaltspraxis erhebliche Belastungen mit sich bringt. Der Senat denkt dabei insbesondere an die regelmĂ€ĂŸige Versorgung des Katers mit Nahrungsmitteln, aber auch an die gerade an Wochenenden und in der Urlaubszeit nicht unerheblichen „Entsorgungsprobleme.“ Diese Belastungen nimmt der Halter eines Katers nach Überzeugung des Senats nur auf Grund großer Tierliebe auf sich.“
Besonders hervorzuheben ist aber nach diesen durchaus nachvollziehbaren steuerlichen AusfĂŒhrungen zur privaten Mitveranlassung behaupteter Betriebsausgaben zudem noch eine Bemerkung ganz am Ende des Urteils:
„Der Senat bedauert, daß die durch eine hohe GeschĂ€ftsbelastung lange Prozeßdauer eine Entscheidung zu Lebzeiten des verschiedenen Katers verhindert hat.“

Ich freue mich, in den nĂ€chsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können. Und sollten Sie in der Praxis wieder einmal an der steuerlichen Behandlung eines nicht ganz gewöhnlichen Lebenssachverhalts verzweifeln, denken Sie immer daran: „Was ist komplizierter als unser Steuerrecht? – Die Vereinfachung desselben.“


Über Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der BetriebsprĂŒfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in SteuerberaterlehrgĂ€ngen und BilanzbuchhalterlehrgĂ€ngen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tĂ€tig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor unzĂ€hliger steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals ĂŒber Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das MĂ€rchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab.

Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hÀngte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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