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Im Namen des Volkes – Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen

Die beste Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen

Schräge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern Auszüge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches

Ich heiĂźe Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

Geld stinkt nicht. Menschen mitunter schon.
Man kann Goethe (deutscher Dichter, 1749-1832) nur beipflichten; aber was ist mit den Anderen?
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie gut besucht die sog. Duty-Free-Shops eines Flughafens schon bei einem Hinflug sind? Nun, die Menschen haben offenbar Angst davor, aufgrund ihres fehlenden Wohlgeruchs als Beförderungshindernis zu gelten und vom Transport ausgeschlossen zu werden und kaufen daher schon vor dem Einstieg ins Flugzeug wohlriechende Duftwässerchen und ähnliche Artikel. Das Oberlandesgericht DĂĽsseldorf hatte ĂĽber eine Schadensersatzklage gegen eine Fluggesellschaft zu urteilen, weil sich Tumulte ĂĽber den Ausschluss eines Flugpassagiers nach dem Boarding wegen dessen Geruchsbelästigung ergeben hatten (Urteil vom 31.1.2007, 1-18 U 110/06). Der Kläger wurde â€“ obwohl die Maschine startklar war â€“ nicht nur vom Transport ausgeschlossen, er musste infolge dieses Vorfalls auch am Zwischenflughafen ĂĽbernachten, weil der nächste Flug zum gewĂĽnschten Zielort erst am nächsten Tag möglich war. Diese Kosten hatte aufgrund des Urteilsspruchs des Gerichts nun die Fluggesellschaft zu ĂĽbernehmen: „Es ist denkbar, dass ein Fluggast so penetrant riechen kann, dass die von ihm ausgehende Geruchsbelästigung fĂĽr die anderen Passagiere nicht mehr zumutbar ist. Falls es den ĂĽbrigen Passagieren nicht zuzumuten gewesen wäre, wenn die Beklagte den Kläger hätte mitfliegen lassen, dann kann dieser penetrante Geruch dem Stationsmanager M. beim Einchecken des Klägers nicht verborgen geblieben sein. Daher hätte er den Kläger beim Einchecken auf diesen Umstand hinweisen mĂĽssen, um ihm Gelegenheit zu geben, diesem Beförderungshindernis abzuhelfen, z. B. durch Ăśberziehen eines frischen Hemdes.“

Wenn du im Freien pinkelst, achte auf die Windrichtung
Üble Gerüche können rechtlich tatsächlich eine Belästigung der Allgemeinheit sein. Aber wo ist die Grenze?
Es war ein lauer Sommertag an der Ostsee, genauer gesagt irgendwo in der Lübecker Bucht. Auch nach Untergang der Sonne war die Nacht klar und warm, es herrschte Mittelmeerfeeling. Kevin Breitschaft genoss den Abend mit salziger, aber windloser Meerluft in geselliger Runde mit seinen Freunden. Einfach barfuß im Sand sitzen, Bier trinken und die Seele baumeln lassen. Dazu spielte – kitschig genug – sein Freund David Gitarre, einige Freunde sangen tatsächlich alte Lieder aus Schulzeiten mit. Es war wirklich eine gute Idee von Katja, seiner Lebensgefährtin, einmal wieder alle Freunde zusammenzutrommeln, um einen unbeschwerten Abend zu genießen. Jetzt, wo fast alle verheiratet sind und die ersten Paare Nachwuchs bekommen haben, waren solche Abende selten geworden. Dieses Wochenende war eine wohltuende Ablenkung vom Alltagsstress, der inzwischen alle Freunde eingeholt hatte.

Das Bier floss reichlich – und Bier treibt. Und da gerade der männliche Körper sich nur schwer zurückhalten kann, machte sich Kevin auf, diesem natürlichen Drang nachzugeben. Er entfernte sich dazu kurz von der am Strand sitzenden Gruppe (nach den späteren Feststellungen des Gerichts im Rahmen der Beweisaufnahme waren es 20 Meter), um ins Meer zu urinieren. Als er den Reißverschluss seines Beinkleides wieder zuzog, blendete ihn der Schein einer Taschenlampe. Drei Mitarbeiter des Ordnungsamts, die hier zu später Stunde einen Patrouillengang absolvierten, sprachen ihn nach verrichteter Notdurft an. Wie das Gericht später feststellte „sind die Mitarbeiter des Ordnungsamtes nach Entdeckung des Vorgangs nicht sofort eingeschritten, sondern haben der Angelegenheit ihren Lauf gelassen, bis der Betroffene seine Bekleidung wieder gerichtet und sich ihnen zugewandt hatte.“

Das war’s dann aber auch mit ihrem Verständnis. Sie verhängten ein Bußgeld von 60 EUR wegen „Belästigung der Allgemeinheit“ durch eine „grob ungehörige Handlung“. Da sich auf ausdrückliche Nachfrage durch Kevin selbst keiner seiner Freunde belästigt fühlte und er auch keine zufällig vorbeikommenden Passanten wahrgenommen hatte, die er hätte belästigen können, wehrte sich Kevin gegen das Bußgeld, der Fall landete bei Gericht. Und das Amtsgericht Lübeck hatte Verständnis für den Wildpinkler (Urteil vom 29.6.2023, 83a OWi 739 Js 4140/23 jug): „Auch durch die Vernehmung der Zeugen des Ordnungsamtes hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass die Verrichtung des Betroffenen nach Art, Ort und Umständen zu Belästigungen geeignet gewesen wäre.“

Die Begründung des Richters ist ebenso weltmännisch wie nachvollziehbar, lässt aber erahnen, dass ihm bereits Ähnliches widerfahren sein könnte: „Der Vorgang des Wasserlassens unter freiem Himmel außerhalb von Bedürfnisanstalten ist unter Beachtung üblicher Rücksichtnahmen und ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine grob ungehörige Handlung in diesem Sinne.“

Und jetzt kommt’s:
„Dass es am Spülsaum der Ostsee landschaftlich anders als in Bergen und an Waldrändern keine weiteren Möglichkeiten zum landschaftlichenRückzug gegeben hat außerderAbkehr, kann dem Betroffenen dabei nicht zum Nachteil gereichen. So ist es halt an der Küste.“

Die sachliche BegrĂĽndung ĂĽberzeugt dann jedoch wieder:
„Die Ostsee enthält eine Wassermenge von 21.631 Kubikkilometer Brackwasser. Der Verdünnungsgrad wäre selbst im Wiederholungs- oder Nachahmungsfall so hoch, dass eine belästigende Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung ausgeschlossen ist.“

Und so lautet das Ergebnis:
„Nachdem als Anknüpfungspunkt einer Belästigung der Allgemeinheit aus Schamgefühl, die Verunreinigung durch Rückstände oder Belästigung durch Gerüche ausgeschlossen werden kann, ist das Verhalten des Betroffenen eine nach der allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikels 2 GG geschützte und letztendlich wohl auch naturrechtlich verankerte menschliche Willensbetätigung. Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee.“

Der Autor dieses Buches empfiehlt gleichwohl keine Nachahmung, denn sonst kommt noch jemand auf die Idee zu fragen, ob auch das Bierzelt auf dem Oktoberfest nicht unter den Weiten des Himmelszeltes steht und ein Wildpinkeln auch hier nicht gegen die guten Sitten verstößt. Wehret den Anfängen.

Ich freue mich, in den nächsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können.

Ăśber Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule für Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der Betriebsprüfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in Steuerberaterlehrgängen und Bilanzbuchhalterlehrgängen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tätig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. Darüber hinaus hat er sich als Autor unzähliger steuerlicher Lehr- und Praktikerbücher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine Stilblütensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals über Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das Märchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfältiges Tätigkeitsbild ab.

Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hängte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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