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Im Namen des Volkes – Die Amtssprache ist Deutsch

Im Namen des Volkes - Die Amtssprache ist Deutsch

Schräge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern Auszüge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches

Ich heiße Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

Wir leben heute im Zeitalter der Globalisierung und gerade im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union werden Rechtsvorschriften häufig gar nicht mehr vom nationalen Gesetzgeber erlassen, sondern aufgrund EU-rechtlicher Vorgaben. Und die Texte unseres europäischen Gesetzgebers sind schlicht sprachlich unübertroffen – mit den Formulierungsfeingeistern aus Brüssel hält niemand mit. So sind die Begriffserläuterungen der „EG-Richtlinie 78/764/EWG des Rates vom 25.7.1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Führersitz von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“ (ABl. EU Nr. L 255 vom 18.9.1978, Seite 1 bis 39, Anhang I)“ schlicht sprachlich einfach nicht zu toppen:

„Führersitz ist der einer einzigen Person Platz bietende Sitz, der für den Führer bestimmt ist, wenn dieser die Zugmaschine führt.“
„Sitzfläche ist die nahezu horizontale Fläche des Sitzes, die die sitzende Haltung des Führers ermöglicht.“
„Rückenlehne des Sitzes ist die nahezu vertikale Fläche des Sitzes, die dem Führer als Rückenstütze dient.“

Solche Formulierungen gelingen nicht allein durch Abschluss des zweiten juristischen Staatsexamens, sondern verlangen jahrelange Übung durch Einsatz in diversen Behörden oder in Fachausschüssen des Deutschen Bundestages. Erst dann ist man bereit, sich der Herausforderung zu stellen, europäische Normen zu formulieren. Was unsere Großväter als Projekt der wirtschaftlichen Liberalisierung gestartet haben und unsere Väter zu einem Erfolgsmodell machten, ist mittlerweile zu einem abschreckenden Beispiel von Überregulierung und technokratischen Mikromanagement verkommen.

Donaudampfschifffahrtselektrizitätenhauptbetriebswerkbauunterbeamtengesellschaft
In deutschen Ausschüssen lässt sich prima das Formulieren der verrücktesten Gesetzesvorlagen üben, um den möglichen späteren Herausforderungen auf europäischer Ebene im Falle einer Versetzung (mit angemessenen, d. h. höheren Dienstbezügen) gerecht werden zu können. Aber nicht nur die Abfassung endloser Schachtelsätze scheint eine Spezialität deutscher Normengeber zu sein, nein, so ganz nebenbei werden dabei auch noch unglaubliche Wortungetüme geschaffen. Hier die längsten Wörter der deutschen Sprache, allesamt erzeugt von Bürokraten – und alle beruhen auf wahren Begebenheiten:
•    Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung
•    Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz
•    Mindestlohndokumentationspflichteneinschränkungsverordnung
•    Vermögenszuordnungszuständigkeitsübertragungsverordnung
•    Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftengesetz
•    Altersvorsorge-Produktinformationsblattverordnung.

Das Wort

„EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz-
Ermächtigungsübertragungsverordnung“

übertrifft die vorgenannten Beispiele im Hinblick auf die Anzahl der Buchstaben (73!) aller vorherigen Nennungen, die beiden Bindestriche nicht einmal mitgezählt. Tatsächlich passt es damit noch soeben in eine Zeile eines Schriftsatzes in DIN A 4.
Und dann ist da noch die FuUV, die

„Verordnung zur Förderung der beruflichen Fortbildung
und Umschulung bei ungünstiger Beschäftigungslage“,

deren Bezeichnung schlicht nicht mehr in eine Zeile eine DIN-A4-Schriftsatzes passt, weil sie 92 Buchstaben umfasst – ohne Bindestriche. Sie war gültig vom 1.1.1979 bis zum 30.12.1979 – aber ist unvergessen. Das angeblich längste Wort der deutschen Sprache außerhalb unserer Behördensprache

„Donaudampfschifffahrtselektrizitäten-
hauptbetriebswerkbauunterbeamtengesellschaft“

existiert dagegen tatsächlich nicht, es ist ein Kunstwort, von einem Spaßvogel geschaffen. Natürlich will hier der geneigte Leser das Gegenteil glauben und mir fällt es verständlicherweise schwer, etwas zu beweisen, was es tatsächlich nicht gibt.

Manche deutschen Wörter sind so lang, dass sie eine Perspektive haben
sagte einst der amerikanische Schriftsteller Mark Twain während einer Rede 1897 vor dem Presse-Klub in Wien über die „schreckliche deutsche Sprache.“ Und dabei kannte er die hier vorgestellten Wortschöpfungen noch gar nicht:
•    Die „Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung“
(abgekürzt GrundVZÜV) war eine Verordnung zur Übertragung der Zuständigkeiten des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin nach § 8 Satz 2 der Grundstücksverkehrsordnung auf das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. Sie galt vom Dezember 2003 bis zum November 2007.
•    Das im Jahr 2000 durch das Land Mecklenburg-Vorpommern eingeführte „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ (abgekürzt RkReÜAÜG) wurde am 29.5.2013 wieder aufgehoben, weil gesunde Rinder seit dieser Zeit an Schlachthöfen nicht mehr auf die Rinderkrankheit BSE getestet werden und damit die Überwachung der entsprechenden Etikettierung überflüssig geworden war. Das Wort wurde schon 1999 noch während der Beratungen zum Gesetz im Schweriner Landtag von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) für die Wahl zum Wort des Jahres 1999 vorgeschlagen, was den feinen Humor der Jury beweist. Es landete dann aber doch abgeschlagen auf dem zehnten Platz. Sieger wurde das Wort „Millennium.“

Aber nicht nur der Gesetzgeber, auch die Verwaltungen wissen mit Worten umzugehen:

„Gewürzmischungen sind Mischungen, die ausschließlich aus Gewürzen bestehen.“

heißt es im gemeinsamen Ministerialblatt zu den Leitsätzen des Lebensmittelhandbuchs.

Und ebenso wichtig ist es zu wissen, wie man seine Kinder durchzählt, was uns das Merkblatt „Kindergeld“ nahelegt:

„Welches Kind bei einem Berechtigten erstes, zweites, drittes oder weiteres Kind ist, richtet sich nach der Reihenfolge der Geburten. Das älteste Kind ist stets das erste Kind.“

Der Wertsachbeutel – große Sprachkunst nach einer wahren Lüge
„Der Wertsack ist ein Beutel, der aufgrund seiner besonderen Verwendung nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.“

Recherchiert man im Internet zum Thema „Wertsackbeutel“ findet man fast überall den Hinweis, dass der vorliegende Text § 49 der Allgemeinen Dienstordnung der ehemaligen Bundespost entstammt. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Scherz eines jungen Inspektors der Bundespost, der sogar zu einer mündlichen Anfrage im Deutschen Bundestag geführt hat (Protokoll der 86. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 20.1.1967, Anlage 9). Die sog. „Mündliche Anfrage“ des Abgeordneten Kahn-Ackermann (klingt wie eine Loriot-Figur, ist aber echt, Bundestag-Drucksache V/1290 Frage XIII/6) beantwortete der damalige Bundesminister Dr. Dollinger wie folgt:

„Namen und Dienststellung des Verfassers eines nach Ihrer Anfrage dem § 49 der Allgemeinen Dienstanweisung für das Post- und Fernmeldewesen vorgehefteten Merkblatts über den Wertsack kann ich nicht nennen, weil ein entsprechendes amtliches Merkblatt gar nicht existiert.
Wohl aber kursieren und den Postangehörigen humorvolle Gedichte und satirische Wortspiele über gewisse im Postbetriebsdienst vertraute Begriffe. Auch der an sich nüchterne § 49 der Allgemeinen Dienstanweisung, der sich mit betrieblichen Fragen der Wertbriefbeutelübergabe im Bahnpostdienst befaßt, ist im Laufe der Zeit in ähnlicher Weise wegen des Fachbegriffs ‚Wertsack‘ von humorigen Postlern persifliert worden. Diesen Scherztext veröffentlichten kürzlich einige süddeutsche Zeitungen, wie es in der Faschingszeit üblich ist.“

Erstaunlich, wie oft man im Internet gleichwohl Zitate und Hinweise findet, die von der Echtheit dieser Dienstordnung ausgehen. Vielleicht, weil wir es glauben wollen?

Ich freue mich, in den nächsten Wochen auch weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können. Schon soviel sei verraten: beim nächsten Mal dreht sich alles um die Ehe.


Über Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule für Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der Betriebsprüfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in Steuerberaterlehrgängen und Bilanzbuchhalterlehrgängen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tätig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. Darüber hinaus hat er sich als Autor unzähliger steuerlicher Lehr- und Praktikerbücher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine Stilblütensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals über Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das Märchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfältiges Tätigkeitsbild ab.

Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hängte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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