Die einen meinen, die Zeit sei reif für ein Wahlrecht und fordern eindringlich den optionalen IFRS-Einzelabschluss, die anderen versuchen, den befreienden IFRS-Einzelabschluss mit allen Mitteln und Argumenten zu verhindern. Mit Recht oder Unrecht? Das kann hier offen bleiben - „Rechthaberei“ ist kein guter Ratgeber. Eine endgültige und dauerhafte Lösung erfordert vielmehr, die Interessen und Argumente aller beteiligten Stakeholder (Unternehmen, Banken, Shareholder, Wirtschaftsprüfer, etc.) gegeneinander abzuwägen. Auf diesen Weg hat sich das DRSC (Deutsches Rechnungslgungs Standards Committee) bereits in 2023 mit der 1. von 2 Phasen ihrer „Evaluation zur Anwendung der Anwendung der IFRS in Deutschland“ gemacht. Die Beteiligung und Resonanz ist enorm, von den Befürwortern und Gegnern gleichermaßen.
Keine befreiende Wirkung beim Einzelabschluss – andere europäische Länder im Vergleich
Die EU hatte mit der sog. IAS-Verordnung 2002 für alle kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen in der EU ab 2005, spätestens 2007 einen verpflichtenden Konzernabschluss nach IFRS eingeführt. Die IAS-Verordnung hatte den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gelassen, die IFRS wahlweise oder verpflichtend auch für den Einzelabschluss vorzusehen. Im Gegensatz zu Deutschland haben Länder, wie z.B. die Niederlande, Luxemburg, Polen und Irland ein Wahlrecht, Griechenland, Estland, Kroatien und Ungarn hingegen sogar eine Pflicht für den IFRS-Einzelabschluss eingeführt. De facto befindet sich Deutschland somit zusammen mit Österreich, Frankreich, Belgien, Schweden und Spanien mit ihrem Verbot in der Minderheit – europäisch und weltweit betrachtet.
Status Quo deutscher Konzerngesellschaften
Deutsche Konzerngesellschaften von nach IFRS berichtenden Konzernen generieren aktuell monatlich Einzelabschlüsse nach IFRS (Reporting Package) und einmal jährlich zudem einen Abschluss nach HGB und einen für steuerliche Zwecke. Das ist viel verlangt, betrachtet man exemplarisch alleine die Bilanzierung von Pensionsrückstellungen, für die man drei separate Pensions-Gutachten benötigt. Die in § 325 HGB verankerte Möglichkeit, den Einzelabschluss nach IFRS offenzulegen, wird mangels befreiender Wirkung in der Praxis de facto nicht genutzt. Frage ist also: Ist der Aufwand, der mit der Erstellung von Abschlüssen nach drei doch unterschiedlichen Regularien (IFRS, HGB, EStG) verbunden ist, gerechtfertigt?
Argumente PRO und CONTRA optionaler IFRS-Einzelabschluss
CONTRA
Die häufigsten Argumente für den HGB- und gegen einen optionalen IFRS-Einzelabschluss sind
1) die Ausschüttungsbemessungsfunktion und steuerliche Bemessungsfunktion des HGB-Abschlusses
2) Anwendungsprobleme nach IFRS
3) „Irreführende Ergebnisschwankungen“ im IFRS-Abschluss
4) Befürchtung der HGB-Bilanzierer, es könnte ein faktischer Zwang zur Anwendung der IFRS entstehen.
Das im Rahmen der ersten Phase der DRSC-Evaluation aufgeworfene Argument 4) ist völlig nachvollziehbar. Ein sinnvoller und nötiger Kompromiss wäre hier, den optionalen IFRS-Einzelabschluss nur auf solche Unternehmen zu beschränken, die in einen nach IFRS-Konzern einbezogen werden. Dies war auch Tenor der ersten Phase der DRSC Evaluation.
Das Argument 3) der „irreführenden Ergebnisschwankungen“ aufgrund der nach IFRS verpflichtend oder wahlweise vorzunehmenden Fair Value-Berechnungen hat seine Berechtigung, keine Frage; seine Relevanz hält sich in der Praxis aber in Grenzen. Bei welchen Sachverhalten haben wir nach IFRS denn überhaupt die erfolgswirksame Fair Value Bewertung in der Praxis?
• Immobiliengesellschaften nutzen die Fair Value-Bewertung für ihr Immobilien (IAS 40)
• Unternehmen müssen ihre Derivate ohne Hedge Accounting erfolgswirksam zum Fair Value bewerten. Meist sind es aber die Mutterunternehmen eines Konzerns, die zentral Derivate-Verträge in Form von geplanten Rohstoffeinkäufen, Devisentermingeschäften oder Zinsswaps abschließen. Wesentlich seltener werden Derivate durch Konzerngesellschaften abgeschlossen und bilanziert.
• Beteiligungen können nach IFRS auch wahlweise erfolgsneutral (im EK) zum Fair Value bewertet werden (Wahlrecht).
Das Argument 2) ist in vielen Fällen obsolet, weil die meisten Anwenderprobleme bereits im Rahmen der Reporting Packages für Zwecke der Konzernabschluss-Erstellung gelöst sind. Gleichwohl ist richtig, dass vereinzelt Sachverhalte für Konzernabschlusszwecke als unwesentlich, aus Sicht des Einzelabschlusses aber als wesentlich eingestuft und entsprechend „nachgearbeitet“ werden müssten. Dieser Anpassungsbedarf entsteht vor allem dort, wo Konsolidierungsbuchungen, z.B. aus der Kaufpreisallokation oder Zwischenergebniseliminierung, auf das Reporting Package runter gepusht werden. Diese Überleitungsbuchungen vom Reporting Package hin zum IFRS-Einzelabschluss lassen sich aber automatisiert oder durch Anpassung des Packages einfach lösen und sind deutlich kosten- und zeitsparender als die jährliche Erstellung eines HGB-Abschlusses. Wirkliche Anwendungsprobleme entstehen bei der Generierung von weitergehenden Anhangangaben; dafür hat das IASB aber seit Mai diesen Jahres eine Antwort: IFRS 19, siehe folgenden Ausführungen.
Und nun die gute alte, meist zitierte Ausschüttungsbemessungsfunktion und damit einhergehende Gläubigerschutzfunktion als Master-Gegenargument (1) des optionalen, befreienden IFRS-Einzelabschlusses: Der Gesetzgeber hat doch im Rahmen des BilMoG die sog. Ausschüttungssperre geschaffen für Sachverhalte, die nicht das ausschüttbare Ergebnis tangieren sollen. Eine solche könnte man auch für ungewollte Fair Value Effekte im IFRS-Einzelabschluss installieren. Und ob man für den steuerlichen Abschluss einen HGB-Abschluss tatsächlich braucht, ist fraglich. Zum einen triften HGB und EStG seit der Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit im Rahmen des BilMoG weiter auseinander, außerdem kennen Steuerabteilungen und -berater das HGB und EStG gut genug, um daraus eigenständig (ohne HGB-Vorlage) einen steuerlichen Abschluss zu erstellen. Das Ausland macht es täglich vor.
PRO
1) Aufwands- und Kostenersparnis
2) Fachkräftemangel
3) Andere (europäische) Länder können das auch
4) Pillar II – Mindestbesteuerung auf Basis von IFRS-Zahlen für Großkonzerne
5) Vereinheitlichung der Bilanzanalyse für Konzernabschluss und Einzelabschluss
6) Attraktivität des IFRS-Einzelabschlusses für ausländische Investoren
7) IFRS 19
Viele Unternehmen haben eine parallele Buchführung, bedeutet, dass jeder Sachverhalt einmal nach IFRS und einmal nach HGB abgebildet werden muss, dort wo die Bilanzierung sich unterscheidet. Buchhalter brauchen HGB- und IFRS-Kenntnis und zwar täglich, obwohl wir HGB-Zahlen eigentlich nur einmal im Jahr brauchen, weil sie angeblich unverzichtbar für die Ausschüttungsbemessungs- und steuerliche Bemessungsfunktion sind.
Dabei nehmen wir in Kauf, dass die Mitarbeiter in der Buchhaltung vereinzelt nur ein System wirklich beherrschen: HGB oder IFRS. Die Eierlegendewollmilchsau ist rar.
Wollen wir Fachkräfte im Ausland akquirieren oder konzernintern Stellen mit ausländischen Kollegen in der Bilanzierung / Buchhaltung besetzen, werden wir uns schwer tun, Kollegen mit HGB-Vorkenntnis zu finden, es sei denn, sie kommen aus Österreich oder der Schweiz. Und selbst wenn wir ausländische Kollegen akquirieren, die willens wären, sich in das HGB einzuarbeiten, werden wir kaum Schulungen oder Lehrmaterial auf englisch zur Verfügung stellen können.
Und interessanterweise, funktioniert das, wogegen sich der deutsche Gesetzgeber bisher sträubt, auf wunderbare Weise im Ausland. Ich habe Unternehmen im Ausland (z.B. in Luxemburg) gesehen, die für Zwecke Steuern ein IFRS-Ergebnis auf ein zu versteuerndes Ergebnis überleiten. Genauso wäre es möglich, vom Ergebnis gemäß IFRS/HB II-Package für Konzernzwecke auf ein IFRS-Ergebnis für Ausschüttungszwecke überzuleiten. Und genau eine solche Überleitungsrechnung – allerdings Überleitung auf ein steuerliches Ergebnis - müssen Konzerne mit Umsatz größer 750 Mio. EUR auf Länderebene ohnehin schon für Pillar II-Zwecke erstellen. Da ist ausgehend von der HB II auf den Mindeststeuergewinn überzuleiten. Warum sollten wir diese Daten dadurch bereits in Gang gesetzten Prozess nicht nutzen, um daraus den IFRS-Einzelabschluss für Ausschüttungszwecke abzuleiten!?
Nicht nur für Analysten würde die Analyse vereinfacht, wenn Sie neben den IFRS-Konzernabschluss endlich auch IFRS-Einzelabschlüsse wesentlicher Gesellschaften legen könnten. Auch für ausländische Investoren, die nicht viel von HGB verstehen, wären die IFRS-Einzelabschlüsse eine hilfreiche Informationsquelle, die auch ein wenig den Eindruck entgegen wirken würde, dass die Deutschen selbst in Sachen Bilanzierung gerne ihr „eigenes Ding“ machen.
Und nun kommt das IASB und schafft auch noch mit der Veröffentlichung von IFRS 19, einen zusätzlichen Anreiz für den befreienden IFRS-Einzelabschluss: Unternehmen, die in einen nach IFRS bilanzierenden Konzern einbezogen werden, müssen bei Veröffentlichung eines IFRS-Einzelabschlusses zwar die gleichen Ansatz- und Bewertungsregeln anwenden, werden aber deutlich entlastet bei den Anhangangaben nach IFRS. So fallen z.B. bei der Umsatzrealisierung rd. 50% der sonst gefordeten Anhangangaben weg. Noch ist der IFRS 19, der im Mai diesen Jahres veröffentlicht wurde, nicht in EU-Recht übernommen (endorst). Aber die Fachwelt geht von einer Übernahme bis Ende 2026 aus.
Zum 31.10.2024 endete die Deadline der Unternehmensbefragung durch das DRSC zur Erhebung des Meinungsbilds zur Einführung einer etwaigen optionalen Anwendung der IFRS im Jahresabschluss (de lege ferenda). Wir sind gespannt auf die Auswertung der Ergebnisse und melden uns mit dieser in einem zweiten Teil zurück. Es bleibt spannend.
Ihre Claudia Pörtner