Hintergrund: Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit u.a. Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit. Eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist, § § 15 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG.
Sachverhalt: Der Kläger ist seit 2013 als Tätowierer tätig. In seiner Einkommensteuererklärung 2019 gab er einen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit an. Hiervon abweichend berücksichtigte das FA den Gewinn als einen solchen aus Gewerbebetrieb und setzte den Gewerbesteuermessbetrag 2019 fest.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg:
Der Kläger hat entgegen § 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 GewStG kein gewerbliches Unternehmen i.S.d. EStG betrieben. Eine gewerbliche Tätigkeit scheidet aus, da die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nach den Umständen des Einzelfalls zu Einkünften aus selbständiger Arbeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt.
Der Kläger ist künstlerisch tätig geworden.
Ob die Voraussetzungen einer künstlerischen Tätigkeit gegeben sind, ist von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall abhängig, die das Gericht nach seiner freien Überzeugung zu beurteilen hat. Für die insoweit zu treffende Entscheidung ist der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht beizulegen (BFH, Urteil v. 11.7.1991 – IV R 33/90, BStBl. II 1992, 353, Rn. 16, m.w.N.).
Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ist dem Bereich der zweckfreien Kunst und nicht der Gebrauchskunst zuzuordnen; als zweckfreie Kunst fällt sie unter § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Es liegt zweckfreie Kunst vor. Es ist nicht erkennbar, welcher Gebrauchs- oder Nützlichkeitswert den von dem Kläger erstellten Tätowierungen zukommt.
Diese verfolgen – nicht anders als etwa Gemälde – einen rein ästhetischen Zweck. Nach der Rechtsprechung des BFH umfasst der Bereich der Gebrauchskunst das Kunstgewerbe und das Kunsthandwerk (BFH, Urteil v. 29.7.1981 - I R 183/79, BStBl. II 1982, 22, Rn. 10). Indes werden die vom Kläger erstellten Werke von dessen Kunden weder gewerblich genutzt noch handelt es sich um Gebrauchsgegenstände mit einem eigenen Nützlichkeitswert.
Auch die übrigen Voraussetzungen für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit im Bereich der zweckfreien Kunst sind erfüllt (vgl. BFH, Beschluss v. 11.2.2021 – VIII B 30/20, Rz. 4). Die Arbeiten sind ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet. Zudem kann ihnen zur Überzeugung des Senats nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden.
Die vorliegenden exemplarischen Abbildungen der durch den Kläger geschaffenen Werke zeugen von einer individuellen Gestaltungskraft, die von der Verkehrsauffassung - nicht anders als klassische grafische Kunstformen wie die Malerei - als künstlerisch verstanden wird.
Dafür spricht auch, dass der Kläger nach seinen Angaben an verschiedenen Ausstellungen und Messen u.a. zum Thema Tätowierungen teilgenommen hat; dies wird durch die hierzu übersandten Plakate und Veranstaltungsankündigungen untermauert.
Offenbleiben kann, ob der Prozess der Umsetzung der Tätowierung auf der Haut bei isolierter Betrachtung gewerblicher Natur wäre. Eine solche Differenzierung zwischen einem künstlerischen Prozess der Erstellung individueller Vorlagen und einem handwerklichen Prozess der Umsetzung der Tätowierung ist nicht vorzunehmen.
Selbst wenn man die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht dem Bereich der zweckfreien Kunst, sondern der Gebrauchskunst zuordnet, handelt es sich um eine künstlerische Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die hierfür von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen, dass der Kläger eigenschöpferisch tätig wird und dass diese Leistungen eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen (BFH, Urteil v. 29.7.1981 - I R 183/79, BStBl. II 1982, 22, Rn. 10; BFH, Urteil v. 27.8.2014 - VIII R 16/11, BStBl. II 2015, 996, Rn. 17), sind vorliegend erfüllt.
Die beispielhaft übersandten Abbildungen von Werken des Klägers sowie dessen Beschreibung der Arbeitsabläufe belegen hinreichend, dass in den Werken eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck kommen.
Die Werke weisen auch eine hinreichende Gestaltungshöhe auf; insbesondere ist ohne Weiteres erkennbar, dass eine schöpferische Leistung vorliegt, die deutlich über den im Wesentlichen erlernbaren, manuell-technischen Prozess der Tätowierung hinausgeht.
In Anbetracht der Gesamtumstände des Falles würde die Verneinung einer eigenschöpferischen Tätigkeit der Einordnung der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als – insbesondere im Vergleich zu anderen Teilen bildender Kunst – niedere Kunstform gleichkommen. Eine solche Differenzierung zwischen höherer und niederer Kunst ist nicht zuletzt aufgrund der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Kunstfreiheit unzulässig (BFH, Urteil v. 23.9.1998 – XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460, Rn. 15 f.; Brandt, in Herrmann/Heuer/Raupach, § 18 EStG Rn. 104 (2/2020)).
Hinweis:
Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.
Quelle: FG DĂĽsseldorf online (il)
Fundstelle(n):
NWB BAAAJ-86422